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Carmen V
Klaus dachte sich damals nichts dabei. Auf dem Schild stand:Vorsicht!
Kinder, Pferde, Hunde und Katzen.
Der Feldweg war mit grobem Kies befestigt. Es gab Schlaglöcher. Klaus
fuhr etwas langsamer.
Wenn man an der Windmühle zwischen Harm und Herm vorbei kommt, an dem
einzeln stehenden Haus, hat man einen schönen Blick auf den Feldweg,
gleich hinter der Kreisstraße, die Harm mit Herm verbindet.
Links und rechts des Feldweges stehen wunderschöne, große Birken.
Besonders an sonnigen Tage leuchten die weißen Stämme der Birken. Der
Feldweg steigt langsam an, führt an einem Auslauf für Pferde und an
einem Wohnhaus vorbei. Dann kommt man zum Gutshof, vorbei an der
riesigen Kastanie und weiter führt der Feldweg zwischen ausgedehnten
Feldern hindurch.
Klaus trat noch kurz vor der Kurve stärker in die Pedale, auch wenn er
gleich an der Kreisstraße abbremsen musste. Irgendwie spornten ihn die
Birken an, schneller zu fahren. Der schöne Blick.
Gleich hinter der Einfahrt auf dem Feldweg kommt dann dieses Schild:
Vorsicht! Kinder, Pferde, Hunde und Katzen. Klaus dachte, als er es
zum ersten Mal sah, ob das wohl eine Wertung ist? Kinder sind uns am
wertvollsten. Gut, dass ist so! Wie konnte Klaus ahnen, dass er jemals
den Text auf dem Schild stärkere Beachtung schenken würde.
Als Klaus die Steigung hoch fuhr, sah er Jemanden am Fenster des großen
Wohnhauses stehen. Sie hatte langes schwarzes Haar. Mehr sah Klaus nicht.
Klaus hatte viele Trainingsstrecken in der Gegend. Trotzdem befuhr er
einige Tage später, wie zufällig, wieder diesen Feldweg. Die Sonne
schien, das Getreide auf den Feldern übergrün, die Birkenstämme
leuchteten und da war diese Frau mit dem langen schwarzen Haar. Die
Mountainbikebereifung rutschte auf dem groben Kies. Ab und an
schleuderten kleine Kiesel über den Weg. Einer davon traf die Frau am
Knöchel. Sie schrie auf, bückte sich und griff sich an den Knöchel.
Klaus sprang vom Rad und war schon bei ihr. Als sie die Hand vom Knöchel
zog, hatte sie Blut an den Fingern. „Sie können nichts dafür!”, sprach
sie und versuchte irgendwie schmerzverzerrt zu lächeln. Klaus kam ihr
nahe. Ihr Haar duftete. Sie duftete wie frische Rosen.
Klaus lief zum Bike und holte das Verbandszeug hervor. Sie saß auf einem
Stein und versuchte, trotz viel zu kurzem Rock, etwas ungeschickt zu
verhindern, das Klaus mehr als ihre langen Beine zu sehen bekam.
Sie wartete geduldig, bis Klaus den Verband angelegt hatte. „Danke!”
Dann sprang sie plötzlich auf, sackte aber gleich zusammen. Klaus konnte
sie gerade noch auffangen. Dabei streifte er ihren Busen. Sie hatte ein
Laufshirt aber keine BH an.
Sie saßen auf dem Stein.
„Sie habe ihn schon öfter hier entlang fahren sehen”, sagte sie aus dem
Schweigen heraus, das eingetreten war, als Klaus sie auf dem Stein gesetzt hatte.
„Ja? Dann waren sie das da am Fenster?” Klaus zeigte zu dem Fenster, wo
er eine schwarzhaarige Frau gesehen hatte. So nah war Klaus ihr
noch nie.
„Ich warte manchmal. Aber sie kommen nicht oft hier vorbei!”
Was sollte er davon halten? Er verabschiedete sich viel zu schnell.
Unterwegs fuhr Klaus wie besoffen sogar über Felder. Er hatte
plötzlich soviel Kraft, dass er glatt zwei Stunden länger trainierte,
als er eigentlich wollte.
Seine letzte Frauenbekanntschaft lag schon Jahre zurück. Klaus dachte,
er wäre nicht der Typ dafür.
Kaum war sein Dienst am nächsten Tag beendet, saß er schon auf dem
Mountainbike.
Als er an den Birken vorbei kam, sah er sie schon auf dem Stein sitzen.
Sie winkte ihm von Weitem zu. Er setzte sich wieder zu ihr. Sie
erzählte ihm belanglose Geschichten. Ihr Tagesablauf war scheinbar so
normal, dass er langweilig erschien. Zuerst erzählte sie ihm davon, dass
sie die Pferde versorgen müsse, die auf dem Hof in Pension lebten, später
auch davon, dass sie den Ehegatten auch versorgen müsse. Das verstand
Klaus damals nicht sofort, fragte aber auch nicht nach. Sie fuhren
zusammen auf den Feldwegen der Umgebung, bis sie sagte, sie müsse
zurück. Klaus brachte sie. Ihre Räder lehnten an der riesigen Kastanie.
Sie standen am Hofeingang. Der Hof lag wie ausgestorben da. Man roch
Pferdemist und frisches Heu.
Ihr Haar duftete, als Klaus so nahe kam, dass er sie fast berührte. Dann
nahm sie plötzlich seine Hand und legte sie auf ihren Busen. Dabei zog
sie ihn an sich und küsste ihn.
Klaus war wie betäubt und roch sie, schmeckte sie und schmiegte sich an.
Ihre Zungen duellierten sich in ihren Mündern und voller Verlangen
schloss Klaus sie fester in seine Arme.
Plötzlich streifte sie seine Arme ab und war auch schon auf der Flucht
auf den Hof.
Einige Zeit stand Klaus wie benommen. Als er dann endlich sein
Fahrrad nahm und den Feldweg entlang schob und sich um blickte,
stand sie am Fenster und winkte zaghaft.
Die nächsten Tage sah Klaus sie nicht.
Zwar fuhr er auch weiterhin am Hof vorbei, doch ließ sie sich nicht blicken.
Seine Mutter fragte auch schon, was Klaus denn hätte, Klaus sei so
merkwürdig.
Er lebte noch immer bei ihr. Vater ist irgendwann ausgezogen, der
Verräter.
Es kam dieser verregnete Tag. Klaus wollte nicht trainieren, entschloss
sich dann aber doch, am Hof vorbei zu fahren. Klaus fuhr mehrmals vorbei.
Jeweils hundert Meter hinter dem Hof drehte er um und fuhr wieder
hundert Meter am Hof vorbei. Dann hatte er plötzlich genug Mut zusammen
und stand an der Tür. Gerade, als er klopfen wollte, riss sie die Tür auf
und zog ihn in den Flur.
Es war kühl im Flur und roch muffig, irgendwie nach Keller. Klaus war so
aufgeregt, weil er sich viel mehr ausmalte, als er zu hoffen vermochte.
Sie erzählte irgendetwas von ihrem kranken Mann und der vielen Arbeit
und der wenigen Zeit.
Dann schob sie ihn wieder nach draußen.
Klaus hatte die nächsten Wochen viel Stress mit seiner eifersüchtigen
Mutter und mit seinen Gefühlen. Muttern hatte so was ja gar nicht
verdient. Sie hatte immer zu ihm gehalten. Klaus stand ihr schon immer
bei, als das mit Vatern war. Damals. Klaus musste viel heulen.
Plötzlich saß sie wieder auf dem Stein.
Sie fanden sich tobend, dann liebend im Heuschuppen wieder. Sie waren
bestimmt sehr laut. Sie besonders. Sie schrie sogar dabei.
Die nächsten Tage fand sie sich am Stein ein, wenn Klaus vorbei fuhr und
sie sich dann im Heu wieder vereinigten.
Irgendwann erzählte sie ihm von ihrem Mann, seiner Krankheit und er
hätte Geld. Klaus bräuchte nur etwas Mut und dann könnte Klaus sie für
immer gewinnen.
Die Katze des Hofes musste zuerst dran glauben. Klaus brauchte ja
Erfahrung. Und „Katzen” stand ganz am Ende des Schildes: Vorsicht!
Kinder, Pferde, Hunde und Katzen.
Es war nicht leicht für ihn. Hinter dem Hof, auf einer Wiese am Tümpel
liegt die Katze und vermodert.
In seinen Träumen kommt manchmal die Katze und bringt ihre
Verwandtschaft mit. Wie sie unter seinem Fenster nach Rache schreien. Da
ist aber dieser Mann. Der ist im Wege.
Seine Mutter schaut öfters morgens besorgt zu, wie Klaus lustlos
frühstückt, sie hat aber nichts mehr zu sagen.
Carmen ist die wichtigste Person in seinem Leben geworden. Leider hat
sie nicht immer Zeit für ihn. Da ist immer noch ihr Mann. Zwar ist der
krank, er ist reich aber immer noch ist genug Leben in ihm,
dass er ihnen im Wege ist. Klaus muss mutiger werden.
Manchmal, wenn Klaus Carmen lange nicht sehen konnte, fuhr er auch
nachts mit dem Mountainbike.
Nach Tagen lässt sie ihn auf den Heuboden. Dann ist sie besonders
ausgelassen und hat so viele liebe Worte für ihn und macht ihm Mut.
Klaus weiß nicht, warum er so feige ist.
Dann hatte er den Hund hinterm Hof, auf der Wiese am Tümpel
vergraben. Der modert auch schon vor sich hin.
Jetzt stehen Katzen und Hunde nachts unter seinem Fenster und rufen nach
ihm. Klaus hat sich zum ersten Mal mit Muttern gestritten. Nie zuvor
hatte Klaus ihr weh getan. Jetzt hat Klaus eine Schwelle überschritten.
Die Nachbarin ahnt, was vorgefallen war. Muttern bleibt aber dabei, sie
wäre ausgerutscht.
Klaus ist jetzt noch öfter bei Carmen. Sie hat so süße Worte, wenn sie
was will.
Klaus muss mutiger werden ….
JSEGG
10.11.2011
© Jörg Segger
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