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Die rote Jacke
Jetzt hing sie da. Schlapp und schaukelte im Wind.
Auch was: es war ein ausgewachsener Herbststurm,
der durch die Wälder am Rhein heulte. Besonders,
wenn sich der Wind mit den hohen Tannen anlegte
spielte er ganz ungeahnte Töne auf den Tannennadeln.
Ich fand das zuerst beängstigend, gewöhnte mich aber
bald daran. Ab und an, wenn ich aus dem Wald heraus
lief, lehnte ich mich gegen die Windböen, die gleich
mit mir spielen wollten, sobald ich mich zeigte.
Was war das? Das war nicht der Wind. Irgendwo schrie
ein Tier um Hilfe. Oder war es ein Mensch? Ich blieb
stehen. Ich hatte mich bestimmt getäuscht, bildete
ich mir ein. Zur Beruhigung meiner Beuneruhigung war
das besser.
Ich lief wieder an.
Die Phantasie spielte
mit den Gedanken an ein hilfloses Mädchen im Wald.
Warum eigentlich ein Mädchen? Konnte es nicht auch
ein Knabe sein, der hilflos im Wald umher irrte und
rief oder schrie, weil er nicht mehr wusste, wo
lang er laufen sollte? Oder ein Tier. Vielleicht
ein Hund, der geschlagen wurde?
Oder Rotkäppchen.
Rotkäppchen und die Angst vor Wölfe. Ich war mit
meiner Phantasie im Wald und bei den Wölfen angelangt.
Klar: es könnte ein Wolf oder gar ein Rudel Wölfe
gewesen sein. Vielleicht sind die über die Schafe,
die ich auf der Wiese hinter mir gesehen hatte,
hergefallen. Wölfe am Rheinsteig. Wenn das morgen
in der FAZ steht, würde ich die Redaktion anrufen
und denen mal was erzählen. Ich wäre dann ja
Ohrenzeuge.
Quatsch.
Aber mit Schokoladensoße: Wölfe
auf dem Rheinsteg. Das hätte was von Hitlertagebüchern.
Glaubt einem kein Mensch mehr. Jedenfalls nach den
Tagebüchern.
Trotzdem: Da war dieses Geräusch wieder.
Durch den Wind.
Ich hörte es, obwohl der Wind wieder die Tannennadeln
bespielte und Äste aus den Bäumen nach mir warf. Vielleicht
sollte man bei Sturm nicht auf dem Rheinsteig und schon gar nicht im Wald unterwegs sein. Wie schön wäre es, wenn ich jetzt in Bendorf, in der urigen Kneipe, in deren Hotelzimmer ich die Nacht verbracht hatte, bei einem leckeren Bier oder noch besser bei einem Glas Wein sitzen würde. Keine Schreie. Nur das Grölen der angetrunkenen Gäste, die ihre „Kästen“ vertranken. Ein Sitte dort. Das Jahr über zahlt man mindestens zwei Euro pro Woche in den Kasten, um den Inhalt nach einem Jahr dann in Spaß und Bier umzusetzen. Und Gemeinsamkeit. Schon die alten Germanen tranken gemeinsam Met
“... bis keiner mehr steht!“. Sangen die von der Rockband
Torfrock.
Ich war im Wald, der Wind heulte, pfiff um die Bäume und
Tannennadeln und ich war allein. Keiner da. Nun, klar,
doch irgendwo im Wald war jemand, der schrie.
Jetzt wieder.
Die Nackenhaare stellten sich bei mir auf und ich
schwitzte kalten Schweiß. Angstschweiß. Ich stand
und lauschte.
Dann nur wieder der Wind und ein Ast, der neben mir auf
den Boden knallte. Ich trat einen Schritt zurück und
erschrak. Es schrie direkt hinter mir. Ich drehte mich
abrupt um und sah in zwei böse Augen. Gleichzeitig raste
etwas durch meine Beine, dass ich kurz das Gleichgewicht
verlor. Dann schubste mich dieses böse Blickende um und
schrie und schrie. Der Hund war vor Schreck nicht nur durch
mein Beine gelaufen, sondern auch gegen einen Baumstamm und
war nur noch ein Häufchen Unglück, als der Mann mit dem
Eisenteil der Leine nach ihm schlug.
Ich rappelte mich
auf und fiel ihm in den Arm.
Es begann ein Kampf und der
Wind heulte durch den Wald und brachte die Tannennadeln
zum klingen. Unheimlich. Dann hatte er mich an der Kehle.
Dann hatte ich ihn an der Kehle und drehte seinen rechten
Arm mit der Leine nach hinten und die flog auf die Erde.
Der Hund lag noch so ängstlich da. Ich sah in dessen Augen
und in die des bösen Mannes und sah die Faust auf mein
Gesicht rasend näher kommen.
Ausweichen befahlen sämtliche Instinkte.
Aber auch Wut.
Wut, die keine Angst mehr kennt. Überlebenskampf. Ich
verpasste ihm einen Hieb direkt auf das Kinn und trat
ihn zwischen die Beine. Gut nicht ganz den Regeln entsprechend.
Aber die Wut ließ mich kein Regelbuch lesen.
Da lag er. Daneben die rote Jacke. Die rote Jacke,
die er wie einen Gürtel um die Hüfte gebunden hatte,
weil ihm wohl beim Jagen des Hundes und sicher auch
vom Schlagen des Hundes warm geworden war.
Ich trat dichter an ihn heran. Eigentlich war ich
fertig mit ihm. Er hatte seinen Meister gefunden
und jetzt war der Hund aufgestanden und das böse
Herrschen lag als Unglücksbündel vor mir.
Was macht man mit so einem Bösewicht?
Ich lies ihn laufen.
Seine rote Jacke, die er im Schreck vergaß, hängte ich an den Baum,
machte ein Foto und lief weiter zum Etappenziel auf den Rheinseitig.
Der Hund folgte mir und es schien mir als pfiffe der Wind jetzt ein lustiges Lied.
JSEGG
Nov. 2016
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