|
|
|
Warum es am Rande der Savanne keine Eichhörnchen gibt
Okuto war mit seinem Sohn Onkongo aus den Savannen Afrikas,
wo sie in einem kleinem Dorf lebten, nach Europa gekommen.
Als sie sich im Winter heimlich über den Tarschenpass schleppten,
und, fasst am Ende ihrer Kräfte, im Wald hinter einer Skihütte, einen
Unterschlupf fanden, beobachtete Onkongo ein Tier, das er aus seiner
Heimat nicht kannte. Beide hatten Hunger. Zwar hatten sie warme
Winterschuhe von einer Hilfsorganisation und etwas Verpflegung
für unterwegs bekommen, aber sie litten trotzdem. Es war so kalt
und sie konnten einfach nicht weiter in das Tal absteigen.
Sie mussten sich ausruhen. Der Sohn fragte den Vater, ob er
dieses flinke Tier kennen würde, welches da plötzlich am
dicken Stamm einer Tanne aufgetaucht war, in den Schnee
sprang und zu buddeln anfing. Der Vater kannte dieses Tier
aus Filmen über die europäischen Wälder. Da er aber seinem
minderjährigen Sohn davon abhalten wollte, weiter auf seine
knurrenden Magen zu hören oder über die warme Sonne Afrikas
nachzudenken, erfand er eine Geschichte.
„Früher”, begann er, „vor langer, langer, sehr langer Zeit,
als in Afrika noch die Könige unserer Vorfahren herrschten,
unsere Felder regelmäßig genug Regen abbekamen, und wir genug
zu essen hatten, da konnten die Tiere noch sprechen.
Das ist lange her. Die Menschen hatten
auch noch andere Ohren. Damit konnten sie nicht nur die Tiere
verstehen, sondern auch die Pflanzen. Jedenfalls hörten sie
noch auf alle Lebewesen in der Natur.”
Der Vater machte ein
Pause. Ihm war sehr kalt und eine Schauer lief ihm über den
Rücken. Dann schauten sie dem Tierchen zu. Der Vater nannte es
Eichhörnchen. Onkongo wunderte sich, woher der Vater den Namen
des putzigen Tieres kannte. Dann sahen beide, wie das Eichhörnchen
etwas aus dem Schnee ausgebuddelt hatte. Einen Tannenzapfen hielt
es geschickt in den Vorderpfoten und schien daran zu knabbern.
Der Vater meinte, es fand Samen im Tannenzapfen.
Der Vater setzte die Geschichte fort: „ Das alte Krokodil, welches
man damals für sehr weise hielt, beschwerte sich beim König der
Löwen, dass der Fluss fast ausgetrocknet war. Der berief den Rat
der Tiere ein.
Nach einiger Zeit saßen Tiere im Kreis unter einem riesigen
Affenbrotbaum und warteten, dass der Löwe die Beratung eröffnete.
Der Löwe brauchte noch etwas Zeit dafür und die Tiere schauten sich
immer wieder an. Was hatten sie für einen eitlen König? Der Löwe
putzte jetzt schon seit Minuten seine lange Mähne und leckte
dazwischen immer wieder seine Tatzen. Man vermutete, dass er
damit allen anderen zeigen wollte, welch scharfen Krallen er
hatte.
Endlich begann er: „Liebe Tiere. Wir haben uns hier versammelt,
um herauszufinden, wer schuldig ist, dass der Fluss wieder
so wenig Wasser führt, ja fast ausgetrocknet ist. Wir wissen
doch alle, dass unser liebes Krokodil Wasser im Fluss braucht!”
Der Löwe schaute in die Runde und musste innerlich lachen.
Das eitle Krokodil saß so unschuldig da. Dabei wissen doch
alle, dass es auch für uns gut ist, wenn der Fluss weniger
Wasser fuhrt. Dann sehen wir es, wenn es seinem Futter
auflauert. Außerdem, wer von den anwesenden Tieren sollte
schon daran Schuld tragen, dass in jedem Jahr für Wochen
wenig Wasser im Fluss ist?
Dann setzte er fort: „Das Krokodil hat einen Verdacht!”
Kaum hatte der Löwe dieses gesagt, meldete sich der Schwarze
Puma zu Wort. Er wusste, dass man das Eichhörnchen beschuldigen
würde. Das war aber sein Futter. Für ihn wäre es nicht gut, wenn
man das Eichhörnchen aus dem Wald vertreiben würde und so sprach
er: „Ja, das Wasser des Flusses ist in diesem Jahr besonders flach.
Aber wenn es wieder regnet, wird der Fluss wieder anschwellen!”
„Unsinn meldete sich das Krokodil. Und wenn es nicht regnet? Über
die Zeiten ist immer weniger Wasser im Fluss, auch wenn es regnet!”
Es schaute in die Runde. Hier hatte es nur wenige Freunde. Immerhin
wollte das Krokodil sehen, wer zu ihm hielt.
Der Königstiger war nur zu Besuch im Wald, welcher an den Rand der
Savanne grenzte. Er meinte, er hätte gesehen, wie auch in diesem Jahr
wieder das Eichhörnchen Samen der Bäume vergräbt. Daraus würden bald
riesige Bäume wachsen, die das Regenwasser aufsaugen und verbrauchen.
So sei es doch nur klar, dass der Fluss dann wenig oder irgendwann,
wenn genug Bäume im Wald sind, kein Wasser mehr führt. Dann müsste,
und dabei schluchzte er und rieb sich mit der rechten Tatze ein Auge
aus, unser geliebte Krokodil völlig auf dem Trocknen sitzen und sogar
auswandern. Dass könne doch keiner wollen!
Fast alle Tiere nickten zustimmend.
Das schlaue Flughörnchen gab zu bedenken: „ Der Wald sammelt aber
den Regen, fängt Wolken ein, und der Wald gibt das angesammelte
Wasser langsam wieder frei und verhindert, dass der Fluss die
gesamte Landschaft zerstört. Deshalb sei es doch gut, wenn das
Eichhörnchen, dafür sorgen würde, dass mehr Bäume wachsen würden.
Außerdem sterben ja auch immer wieder Bäume ab!
Das Krokodil vergoss jetzt richtig große Tränen. Es fing laut an zu
jammern.
Die Giraffen, Zebras und auch die Gnus wussten nicht, was sie sagen
sollten. Da war der Löwe und das Krokodil. Die hatten schon viele
Verwandte auf dem Gewissen. Wenn der Fluss reißend war, viel Wasser
hatte, lauerte das Krokodil unbemerkt am Ufer. Wenn es wenig Wasser
im Fluss gab, konnten sie zwar schneller ans andere Ufer aber oft
tarnte sich das Krokodil dann im tiefem Schlamm. Der Schwarze Puma
wies wiederholt darauf hin, dass er sich denken könne, dass das
Eichhörnchen Schuld trägt. Trotzdem würde er eher zur Meinung des
Flughörnchens tendieren.
Der Königstiger spielte sich wiederholt als Zeuge auf. Er habe doch
gesehen, was das Eichhörnchen da immer wieder macht. Außerdem weiß
man doch, dass es auch nicht gut ist, wenn es die Götter der Erde
durch sein Buddeln störe. Die Götter trinken dann mehr Wasser und
es würde weniger Regnen.
Der Löwe schüttelte seine Mähne, schaute ernst in die Runde und
verkündete seinen Schiedsspruch: „Das Eichhörnchen wird aus dem
Wald verbannt!”
Das Krokodil lächelte den Königstiger an. Das Flughörnchen war
empört. Es hatte auch Angst, dass es verbannt würde, wenn erst
einmal das Eichhörnchen weg wäre und man demnächst einen
Schuldigen suchen würde.
Das Eichhörnchen musste am anderen Tag den Wald verlassen.
Als es durch die Savanne ging, um sich eine andere Bleibe
zu suchen, kam es an den Fluss. Es hatte die ganze Nacht
über geregnet. Der Fluss war reißend geworden. Das Krokodil
lag am Ufer im Schlamm und meinte: „Hallo liebes Eichhörnchen,
komm nur, ich bringe dich ans andere Ufer!” „Was soll dein
Transport kosten?”, fragte das Eichhörnchen. „Das sage ich dir,
wenn wir unterwegs sind!”
Aber das Eichhörnchen traute sich nicht, vielleicht mit dem Leben
zu bezahlen. Es versuchte an einer anderen Stelle über den Fluss
zu gelangen.
„Wir wissen nicht, wo das war, aber es muss es geschafft haben.
Hier sehen wir doch ein Eichhörnchen!” meinte der Vater.
Dann erzählte er weiter: „Jedes Jahr, wenn der Fluss wieder
wenig Wasser führte, wurde durch den Rat der Tiere ein
Eichhörnchen, welches man dabei erwischt hatte, wie es
Samen der Bäume verbuddelte, aus den Wald gewiesen.
Dann kam der Regen und der Fluss schwoll an. Irgendwann
gab es bald im Wald keine Eichhörnchen mehr. Im Buch der
Tiere wurde festgehalten: „Sollte der Fluss wenig Wasser
führen, so verbannt ein Eichhörnchen!” Jetzt leben keine
Eichhörnchen mehr in Afrika!
Onkongo, der Sohn von Okuto war über die Fabel hinaus
eingeschlafen. Die beiden Menschen waren inzwischen in
die dunkle Nacht getaucht. Sie waren so schwarz wie die
Nacht. Die Sterne funkelten im Schnee. Der Mond zog auf
und wenn die beiden Afrikaner im Schlaf erschraken und
in die Nacht blinzelten, sahen sie in das tiefe Tal.
Sie sahen die vielen Lichter der Dörfer und Städte im
Tal. Sie konnten sogar die Kaminfeuer der Siedlungen
in der klaren Nacht riechen. Ihre Mägen knurrten.
Manchmal flog ein Uhu lautlos über sie hinweg und
dachte sich seinen Teil. Leise, ganz leise brummelte
er vor sich hin: ”Wie merkwürdig doch die Menschen sind!”
Aber selbst, wenn man seine weisen Worte gehört hätte,
so hätte niemand ihn mehr verstanden!
JSEGG
13.11.2019
|