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Ostdeutscher Table Dance
Britta. Alles schmerzt! Welche Art des Schmerzes wird durch welche Art der Verletzung hervorgerufen? Und welche Art des Schmerzes ist dann noch dazu der wirksamste?
Durchhalten Britta!
Die Parolen sind immer die gleichen. Ideologisch untermalt, einen Feind in die Nervenverbindungen malen und - dann? - auf dieses gemalte Monster basierend, Ängste erschaffen. Es lassen sich so manche Entbehrungen leicht ertragen, wenn man einen Feind hat. Schmerzen ebenso.
Die Uhr hat erst vor kurzem im Takt zur Wende beschlagen. Noch taten die Beine weh. Das war vom Stehen nach einem Reisepass, der dann nie benötigt wurde. Das war nach dem endlosem Stehen in der Schlage, um die Versicherung aufzulösen. Man wollte doch nicht verlieren. Das war nach dem ermüdenden Stehen nach dem Geld, welches jetzt wieder umgetauscht wird. Das war auch vom Stehen vor der Haustür, an Ecken, beim Rauchen, oder irgendwo, mit Menschen aus dem Osten. Die kannte man nicht, aber die hatten die gleichen Ängste. Man stand und diskutierte. Meistens wusste man nicht, wem man da etwas seiner Gedanken anvertraute.
Was wird?
Dabei ahnte jeder schon längst, was wird! Ba! Jetzt will keiner was gesehen haben und schon damals alles gewusst haben. Ba! Ba! Die Typen kotzen mich an. Typen, die alles schon vorher gewusst haben und alles viel besser gemacht hätten. Hätten, wäre und wenn. Ausreden zur eigenen Entschuldigung. Besserwisserei! Was soll man davon halten?
Der Kopf schmerzt von dem billigen Schnaps und dem schlechten Büchsenbier. Da liegt sie nun.
Lang ausgestreckt.
Sie hält schon einige Zeit die Hand auf die Stirn. Ihre Haare liegen zerzaust und fettig, fast nur auf einer Seite des Kopfes. Die Augen sind geschlossen. Sie hat eine schöne, nicht zu lange Nase und einen etwas schiefen Mund. Der Mund ist nur so schief, dass er anziehend wirkt. Kleine Fehler in der Konstruktion verbessern eher das Gesamtbild!
Das Gesicht ist blass. Die Person ist nicht sehr groß. Etwa 1,72 Meter. Man kann sie als schlank bezeichnen. Der junge Busen reckt sich wie Puddingtürmchen mit Antennen zart in den Sonnenstrahlen des späten Morgen. Er bibbert bei der leisesten Bewegung des Oberkörpers.
Eine Hand hat die junge Frau auf den nackten Bauch gelegt. Sie massiert ihn vorsichtig. Dabei fährt sie manchmal mit der Hand etwas unter die Jeans. Jetzt trägt sie natürlich richtige Jeans!
Die aus der Ost – Produktion sind längst entsorgt. Die Jeans liegt prall an und betont das frauliche Becken und die Oberschenkel. Die Füße sind auch nackt.
Dann stöhnt sie wieder, nimmt die Hand von der Stirn und schlägt ihre grünen Augen auf. Dabei zieht sie ein Bein etwas an.
Sie legt sich zur Seite und würgt. Stinkender Schleim ergießt sich aus ihrem Mund und landet neben den von einigen Zimmerfliegen besetzen Haufen der schlimmen Nacht.
Dann erhebt sie sich mit Mühe von dem Bett und geht mit unsicheren Schritten in das Badezimmer. Sie putzt sich die Zähne. Vorsichtig nach langem Spülen putzt sie, damit die Zahnhälse nicht zerstört werden. Dann schlüpft sie aus der Jeans heraus. Die Jeans fliegt. Dann landet auch der Tanga neben den Wäschepuff. Sie geht zur Dusche.
Mit jeder neuen Zahl auf der Wasseruhr kehren neue Erinnerungen zurück. War etwas passiert? Petra überlegt angestrengt.
Giftig grüne Augen.
Ihr Körper bewegt sich schemenhaft hinter dem Duschvorhang.
Er liegt neben dem Bett. Seine Hand sucht und findet die angefangene Flasche Bier. Er trinkt, während er sich mit dem Rücken an das Bett setzt. Das Bett ist zerwühlt. War er das?
Einige Zeit hatte er schon wach so neben dem Bett gelegen, bevor er nach der Flasche suchte. Boskopp war mit auf dieser Party. Er hatte nicht so viel getrunken, wie die anderen. Er mochte Bier - überhaupt Alkohol - nicht besonders. Wenn aber die Stimmung gut war, trank er schon mal einige Flaschen, oder auch dieses Büchsenbier. Vor der Wende gab es das normalerweise nicht. Entweder man konnte es sich für D – Mark im Intershop kaufen, oder bekam es auf anderen Wegen, von der Verwandtschaft aus dem „Westen“. Als Kind hatte er mit seinen Spielkameraden, obwohl verboten, Büchsen an der Bahnlinie gesammelt. Es waren kleine Schätze für sie, was achtlos von den Bundesbürgern aus dem Fenster entsorgt wurde. Manche schöne Büchse zierte stolz die Regale. Von der Strecke Marienborn – Berlin direkt in ihre Regale.
Boskopp machte schon seit Jahren Disco. Eine Abart DJ – Boskopp! Er spielte also Musik von Bändern und Schallplatten, zur Unterhaltung, zum Tanzen, auf Veranstaltungen. Die Veranstaltung gestern war keine öffentliche Veranstaltung. Früher hatte er immer anteilig die Musik aus dem Osten spielen müssen. Jetzt spielte er sie gerne. Jetzt war diese Musik die Erinnerung an die Vergangenheit. Zwanglosigkeit!
Das war doch gar nicht so schlecht damals! Schon gar nicht die Musik. Wir haben damals auch schon etwas gekonnt. Jetzt sind wir auch noch was. Ein Stück vom Leben – kein Trotz!
Die Erweiterungsmöglichkeit der nicht so ganz erfolgreichen, oder die Möglichkeit seinen Egotripp endlich auszuleben. Der Osten eben!
Der wilde Osten fängt gleich hinter Helmstedt an.
Was noch stand war nicht so viel wert, wie man dachte. Ganze Fabrikgelände, siehe das ehemalige Werk „Krupp-Gruson“, wurden platt gewalzt. Jetzt sind da nur noch wenige Arbeitsplätze geblieben.
Boskopp muss jetzt oft die alten Lieder der Renft, Lift, Elektra, oder Phudys und wie sie noch so heißen, spielen. Einige Gruppen haben überlebt, oder sind wieder auferstanden.
Manches alte Lied klingt jetzt vom Text her, ob gewollt, oder ungewollt, anders, tiefgründiger. Und auch aufmüpfig – mehr als damals schon!
Da war Aufmüpfigkeit in den Liedern. So ein versteckter Kampf gegen das Regime.
Er stößt gewaltig auf nach dem Bier. Er trinkt noch einmal und knallt den Röpser in den Raum. Das hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Es war jetzt Ausdruck der Freiheit. Er fühlte sich wohl. Finanzielle Sorgen brauchte er nicht zu haben. Er hatte Arbeit und verdiente sich noch etwas dazu. DJ – Boskopp.
Des Fleischers Tochter hatte gestern Geburtstag. Er mochte Britta. Da war aber weiter nichts. Sie war ihm zu jung und er war außerdem schon lange verheiratet. Er hatte zwei Kinder.
Obwohl er sich zu erst gesträubt hatte Bier zu trinken, hatte er dann doch nachgegeben.
Das billige Büchsenbier. Er schüttelte den Kopf und trank noch etwas von dem Heidebier aus der Flasche. Dieses Bier schmeckte ihm sogar noch besser, als das aus dem Harz. Das mit dem Auerhahn. Der Auerhahn war, wie der gute Geschmack, längst verstorben! Dieses Bier hatte seine Eigenart fast völlig verloren.
Sonst trank er auch nicht so früh am Morgen. Dieser Morgen stellte aber eine Ausnahme dar. Seine Frau war nach Mühlheim/Ruhr gefahren, um ihren Bruder zu besuchen. Der arbeitet seit kurzer Zeit dort. Die Kinder hatte sie mitgenommen. Er genoss die freie Zeit. Natürlich brauchte er auch mal Zeit ohne Familie.
Er stand mit der Flasche in der Hand auf und verließ den Raum. Er wollte nachsehen, ob er sich irgendwo frisch machen konnte. Er hörte das Wasser aus der Dusche rauschen.
Plötzlich blieb er stehen. Sein Fuß berührte etwas weiches. Fast wäre er über einen Körper gestolpert, der quer über den Korridor lag. Aus dem Halbdunkel kam ein, durch den sanften Anstoß initialisiertes Schnarchen. Der Mensch hatte sich in eine Decke gekuschelt und mochte wohl trotzdem frieren. Er stieg vorsichtig über ihn.
Britta hatte das Haus noch voller Gäste. Ihre Eltern hatten sich zu Verwandten verzogen. Sie konnte ungestört feiern.
Hans - Jürgen strich über seine Glatze. Er war noch nicht alt genug für die Glatze, die seinen Kopf zierte. Schon mit 15 Jahren hatte der Haarausfall begonnen. Mit 21 Jahren hatte er diese Glatze. Nicht ein Fusselchen war auf seinem Kopf. Der blonde Bart war dafür sehr spärlich.
Wieder strich er mit für ihn typischer Bewegung der rechten Hand über den Kopf und spitze seinen Mund. Dabei stieß er mit der Zunge an die Lippen, was komisch aussah. Er schlief in einem Raum, in dessen Fenster die Sonne hinein strahlte. Er hörte leise Geräusche vom Flur und erhob sich aus dem Bett. Er hatte den schlechten Biergeschmack einer durchzechten Nacht im Mund und einen schweren Kopf. Wo war seine Freundin nur geblieben? Er hätte schwören können, das sie noch vor kurzer Zeit neben ihm im Bett geschlafen hatte. Er schaute sich um. Da lag eine Büchse Bier. Er hob sie auf. Er war überrascht. Magdeburger Bier in Büchsen. Die Büchse war noch voll. Er öffnete den Verschluss und bekam einige Spritzer in die Augen. Leise sagte er zu sich: „Blöder Ossi! Kannst nicht mal `ne Büchse aufmachen. Nichts gelernt!“ Er lachte. Seine Computerfirma lief blendend. Er stellte immer wieder neue Leute ein.
Er hatte Mathematik studiert und lange Jahre Computerprogramme geschrieben. Dann machte die Firma, in der er arbeitete dicht und er sich selbständig. Er lebte nicht mehr auf dem Dorf. Hier gab es schon lange keine Möglichkeiten mehr für ihn. Alles war alt und eng.
Die intelligente Aussicht fehlte hier. Obwohl – die Zeiten ändern sich!
Zufällig war er hier in die Feier hinein geraten. Er war nur so durch das Dorf gewandert. Er sah den Bäckerladen, der bald schließen würde. Er kam an dem alten Konsum vorbei und wunderte sich, dass dieses Gebäude noch nicht zusammengebrochen war. Die Verkäuferin war noch die gleiche, wie vor der Wende.
Er atmete den Auspuffduft der Trabanten ein, die hier noch relativ zahlreich die Luft verschmutzten und er verwickelte den alten Bürgermeister in ein Gespräch. Resultat war für beide Verärgerung! Der eine wegen des Vorwurfes, die ganzen Jahre nichts gemacht zu haben, und der andere wegen des Vorwurfs, das Dorf verlassen zu haben. Er hatte nicht gekniffen, sondern resigniert. Da war ein Unterschied. Daran glaubte er. Wo sollte er hier sinnvoll mit seiner Kraft hin?
Dann hatte er am Teich gestanden und die Phudys grölen hören. Sie sangen: „Alt wie ein Baum möchte ich werden...“ Er sah sich im Wasser, mitten im Licht der Straßenlaterne zittern. Alt wollte er auch werden.
Er ging in die Richtung, aus der die Musik kam. Dann erschrak er. Die Tür wurde zu schnell aufgerissen. Britta führte einen Trupp Leute an die frische Luft.
Sie lud ihn ein. Boskopp machte weiter so gute Musik. Hans - Jürgen hatte sich mit Bier in eine Ecke zurückgezogen und sank tief in die Musik und in die Gedanken. Tiefer Sumpf der Vergangenheit. Bald aber wurde er aus den Träumen gerissen. Seine Freundin stand am Tisch und sah ihm einfach in die Augen. Sie hatte schon einige Minuten so gestanden.
Dann saßen sie beide und lauschten der Musik und der Vergangenheit.
Er hatte die Büchse ausgetrunken.
Als er die Büchse vom Mund absetzte, drückte der Oberarmachselhöhlenschweißgeruch in seine Nase. Er ging zur Tür und suchte das Bad.
Er ging Duschgeräuschen nach. Als er in das Bad kam, war nur wenig Platz. Boskopp stand neben Bernd, der aufgestanden war, weil er nicht mehr auf dem Boden des Korridors weiterschlafen konnte. Er stellte sich neben die Beiden und sah auch zum Duschvorhang. Da stand sie. Es war Britta. Jetzt sang sie von den zwei, die im Boot sitzen, wobei sich der eine schön müde und der andere krank fühlt. Ein Lied der Phudys eben! Sie sahen durch den Vorhang den gesunden schönen Körper sich genüsslich unter dem Wasserstrahl bewegen.
Dann sahen sie sich an. Ein Gedanke Schoss allen drei durch den Kopf.
Sie dachten daran, wie Britta in der Nacht zu dieser Musik auf den Tisch gestiegen war. Sie hatte sich nicht ausgezogen. Nein, sie tanzte doch so schon entzückend zu der Musik. Die Stiefel, in denen die Jeans steckte, stippten auf den Tisch. Gläser flogen. Die Arme hatte sie im Takt über ihrem Kopf bewegt. Mit den Fingern geschnippt und mit den Stiefeln einen Teller auf den Boden befördert. Sie raffte ihre Bluse aus der Hose und band sie über den Bauch zusammen. Die oberen Knöpfe waren offen und der Busen wippte. Die Stiefelabsätze stachen in eine Käsescheibe und noch ein Glas und eine Büchse flogen gegen die Wand. Der Zauber der Musik!
Ostdeutscher Table Dance.
JSEGG//geändert 16.01.2011
© Jörg Segger
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