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Himmel und Erde
„Das Mädchen ist doch fleißig! Jetzt holt sie schon wieder einen Eimer Wasser.”
Die Alte beugt sich etwas nach vorne, um besser zu sehen.
„Ja, du hast recht!” Auch der Alte legt sich weiter nach vorne und schaut interessiert zu.
„Ich verstehe nur nicht, warum sie diesen... ”, er fuchtelt mit den Armen und findet keine
Worte. Da er noch nicht von der Alten unterbrochen wird, redet er einfach weiter: „Ob dieser
Mensch da der richtige Umgang für die Kleine ist? Ich weiß es nicht.”
Dann schweigen beide. Sie sehen weiter zu. Das Mädchen gießt Wasser aus dem Eimer auf die
Stellen des Hofes, ...
... Kohlenstaub schwimmt auf dem Wasser
und weiter in den Ausguss.
„Da hinten müsste noch einmal gefegt werden!” Der Alte zeigt mit der Hand in die Richtung,
in der auf dem Hof noch immer ein Schmutzfleck zu erkennen ist.
„Du solltest nicht so streng sein, Mann.” Die Alte schaut ihm tief in die Augen.
„Na ihr! Schaut ihr wieder dem Jungvolk bei der Arbeit zu?” Die beide Alten drehen sich um und
lächeln ihrer Tochter ins Gesicht.
„Was sollen wir denn sonst den ganzen Tag machen? Wenn wir so einigermaßen wach sind und
gefrühstückt haben, schauen wir in die Welt.”
„Da können wir noch irgendwie...
... du auch bleiben!”
„Das ist wirklich sehr liebenswürdig von euch. Ich will nur mal sehen, ob der heute wieder
so viel trinkt. Gestern war es ziemlich widerlich.”
„Ach lass doch, du weißt genau, dass der Junge noch immer keine Arbeit hat. Der ist ziemlich
fertig!” Die Jüngere der Frauen blickte ärgerlich auf ihren Mann.
Der Mann konterte: „Was den fertig macht, ist einzig und alleine das Bier! Und wenn der so
weiter säuft, dann gibt dem sowieso niemand eine Arbeit.” Er lehnte sich dabei etwas zurück
und schaute die anderen Versammelten der Reihe nach an.
Da waren die Schwiegermutter und der Schwiegervater, die nicht sonderlich widersprachen. Die
Alte wusste, wie ihr Mann auch, dass der junge Mann einige Verstecke hatte, in denen nicht
nur Bier lagerte. Seine Frau protestierte mit Blicken, da sie sogar einmal gesehen hatte,
wie der Junge etwas Geld aus der Handtasche seiner Lebensgefährtin genommen hatte. Der zögerte
nicht, es gleich auszugeben.
„Lass doch mal die Flasche stehen” , brüllte die junge Frau über den Hof und die Alten sahen
sich mit gepressten Lippen an. Keiner sagte etwas.
„Wenn ich Durst habe, muss ich trinken”, erwiderte der junge Mann und nahm noch einen Schluck.
„Leer!”
Dann schüttelte er mit schneller Handbewegung den Schaum aus der Flasche. Dazu hielt er sie mit
der Öffnung nach unten und schwenkte sie hoch und runter. Die Flasche noch in der Hand, wischte
er sich mit dem ...
... zur Seite sprang.
Die junge Frau wollte stärker auf ihn eindringen und fragte mit scharfer Stimme: „Wann willst
du dich denn morgen vorstellen?” Und weil der Junge nach drinnen ging, um eine weitere Flasche
zu holen, rief sie hinterher: „Wenn du noch eine Flasche trinkst, bist du morgen nicht frisch.
Dann klappt es wieder nicht mit der Arbeit!” Sie nahm den Besen und fegte mit gesenktem Kopf.
Sie wusste, dass dieser Mann sie nicht mehr hören würde. Warum hatte sie sich eigentlich mit
ihm eingelassen? Sie wusste es nicht. Tat er ihr leid? Oder wollte sie einfach nur jemanden
haben, weil sie sich so einsam fühlte?
Wenn sie so vor den Schülern stand, musste sie stark sein. Lange hatte sie keinen Mann „abbekommen”.
Dieser junge Mann hatte ihr aber mit seiner Unbekümmertheit imponiert. Er war nicht so in Regeln gepresst
wie sie. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Gegensätze.
Sicher, er hatte bis jetzt noch keine berufliche Karriere gemacht. Sein bisheriges Leben verlief so,
dass auch niemand eine Karriere erwartete. Wenn er nur wieder Arbeit bekommen würde, dann würde schon
alles gut. Sie erwartete ohnehin nicht so viel vom Leben. Sie mussten schon auf das Geld schauen. Er
bekam nur wenig Unterstützung vom Arbeitsamt. Einige Male hatte er Arbeit. Dann war er immer sehr
aufgekratzt. Er hätte immer ...
... Arbeitsamt mehr für die Anstellung bekam, entließen sie ihn.
Manchmal lieferte der Junge aber auch selber den Grund dazu, dass das Arbeitsverhältnis beendet
wurde. Oder es war die schlechte Auftragslage, die ihn wieder ohne Arbeit sein ließ.
„Da,” der Alte wies in eine bestimmte Richtung, „der trinkt jetzt sogar noch einen Schnaps.”
„Hast du doch auch gemacht, früher ”, erwiderte die Alte. Sie sah es aber trotzdem mit gemischten
Gefühlen.
„Ich will das jetzt nicht mehr sehen”, sagte der jüngere Mann und erhob sich. Seine Frau folgte
ihm, ohne etwas zu sagen. Die beiden Alten sahen jetzt wieder alleine zu.
Der Trinker torkelte auf den Hof. Es lag in der Familie – sie vertrugen keinen Alkohol und tranken
doch zu viel davon. Dann wollte er seiner Lebensgefährtin den Besen wortlos aus der Hand nehmen.
„Du stinkst nach Schnaps! Hau ab und geh schlafen. Du willst doch morgen zum Vorstellungsgespräch.”
„Gib mir dem Besen, ich will da hinten noch mal nach fegen. Da ist noch so viel Dreck.” Er riss ihr
den Besen aus der Hand. Es hatte ihr weh getan und sie rieb sich, etwas wütend, die Hand. „Das ist
eine Mischung. Ein gescheiterter Offizier und Knastologe, und eine Lehrerin”, dachte sie und stürmte
zu ihm hin. „Geh ins Bett!” Sie hatte den Besen in der Hand und er stand mit dem Rücken an der Hauswand.
Das Haus war alt. Sie hatten kein Geld für Reparaturen und der alte Putz rieselte von der Wand.
„Jetzt sind die ganz toll geworden”, sagte der Alte zu seiner Alten, „jetzt wirkt erst die Natur, die
vielen Biere in der Vergangenheit.”
Die Alte sagte nichts.
Die Jungen stritten sich jetzt erst richtig. Der Mann hatte sich mit wackeligen Beine aufgerichtet und
hatte wieder um den Besen gerungen. Die junge Frau wehrte sich, indem sie ihm mit den Besen, wenn der
nicht von ihm festgehalten werden konnte, über den Rücken schlug.
„Ihr seid Säufer! Deine ganze Familie hat sich tot gesoffen. Du alter Knastologe du. Lass jetzt endlich
den Besen los. Hau ab!”
„Und deine Familie? Die Oma hat sich erhängt, der Opa hat sich vor einen Zug geworfen.” Da er gerade
wieder einen Hieb mit dem Besen bekam, musste er sein Geschrei unterbrechen. Außerdem hatte er zu tun,
seine Brille festzuhalten.
Die beiden Alten im Himmel hatte schon ihren Beobachtungsposten verlassen.
„Halt endlich dein Maul!” Und sie holte gewaltig aus. Noch während der Besen auf dem Wege war, rief er:
„Deine Mutter hat Tabletten genommen, nachdem dein Vater gestorben war.”
Dann bekam er mit voller Wucht den Besen ab. Keiner der Nachbarn ließ sich blicken. An einigen Fenstern,
von denen man in ihren Hof schauen konnte, bewegten sich Gardinen. Es war ihre Sache. Jeder gestaltet
sich seine Tage selbst, so gut er kann.
Während er zu Boden sank, lallte er noch: „Deine Schwester hat auch wie verrückt Schnaps getrunken, als
Ihr Mann dauernd fremd ging.”
Dann gab er Ruhe. Sie warf den Besen weg und beugte sich über den Mann. Wie er ihr plötzlich leid tat.
Sie holte schnell Pflaster und Binden.
Als sie beide in der Küche saßen, durfte er noch ein Bier trinken. Lächelnd sahen die vier Alten auf
ihren Beobachtungsposten im Himmel, wie das Ehepaar, dort auf der mühevollen Erde, in ihr Schlafzimmer ging, um einen der Vorzüge, des Lebens, des Erdenlebens zu genießen.
© Jörg Segger
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